Unser Krankenwagen für Dr. Babagbeto in Benin
Juni 2010
OStR' Kirsten Rottmann
Ratsgymnasium Bielefeld
Alles begann am 19. Juni 2008 bei einem Besuch von Dr. med. Modeste Babagbeto im Ratsgymnasium und daran anschließend bei einer Besichtigung der Hauptwache der Berufsfeuerwehr Bielefeld:
Anlässlich des 450jährigen Schuljubiläums gab es in der letzten Woche vor den Sommerferien Projekttage.
Eine Schülergruppe beschäftigte sich intensiv mit der Bethléem-Ecole, Partnerschule des Ratsgymnasiums in Westafrika.
Es wurde das erste Mal ein Container mit Schulmaterial, Ranzen, Fahrrädern, Rollstühlen und auch Ausstattungsgegenständen für die zur Schule gehörende Krankenstation gesammelt und verpackt.
Während dieser Projekttage hatten wir Dr. Babagbeto, den ärztlichen Leiter der Krankenstation, für einen Vormittag in die Schule eingeladen.
Er befand sich auf Einladung einiger Bielefelder Ärzte zu Besuch und hatte ein dichtes Programm in Bielefelder Kliniken und auch im Herzzentrum Bad Oeynhausen zu absolvieren.
Die Schülerinnen und Schüler waren sehr gespannt, hatten Fragen vorbereitet und hörten tief bewegt seinen Berichten zu. Dr. Babagbeto hatte viele Fotos mitgebracht und Frau Basista übersetzte seine Ausführungen aus dem Französischen ins Deutsche.
Als er dann schilderte, dass er bei Notfällen eigenhändig auf seinem Moped die Patienten mit einfachen Ledergurten befestigt, um sie nach Cotonou ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen, war das Projekt „ Ein Krankenwagen für Dr. Babagbeto" geboren.
Die beiden Feuerwehrbeamte Marco Wahle und Dirk Hengelsberg hörten dann auf der Feuerwache von dem Projekt und machten sich auf die Suche nach einem geeigneten Fahrzeug.
Schließlich wurden sie fündig.
Ein von der Bundeswehr ausgemusterter Mercedes-Benz Typ Wolf stand bei einem Gebrauchtwagenhändler zum Verkauf.
Das Geld dafür hatten die Ratsschüler beim Weihnachtsbasar, bei den Schulgottesdiensten und durch die Aktion Tagwerk zusammengetragen.
Dank der unermüdlichen Hilfe des Wachleiters der Wachabteilung III der Wache Süd der Berufsfeuerwehr Bielefeld, Herrn Rolf Mühlenweg, wurde ein Sponsor für die Lackierung gefunden: Autolackiererei Waltemathe in Oerlinghausen.
Mit dem ursprünglichen Bundeswehrgrün, das ihn als Militärfahrzeug auswies, hätte er nicht nach Afrika ausgeführt werden können.
Die gesamte Belegschaft nahm sich also den BDW („Benin-Doktor-Wagen") an einem arbeitsfreien Sonnabend vor und verpasste ihm professionell einen nagelneuen feuerwehrroten Anstrich – und Firma Farben Hecker-Spiess sponserte dazu auch die benötigte Farbmenge.
Jetzt fielen auch erste Kfz-Steuer- und Versicherungsbeiträge sowie Dieselbenzinkosten für die diversen Fahrten von der Feuerwache Süd zu weiteren Sponsoren an.
So schön lackiert und aufbereitet konnte der BDW mit dem amtlichen Kennzeichen BI-CD 112 nun endlich auch der Mercedes-Benz Niederlassung in Detmold vorgestellt werden, um ihn dort auf Herz und Nieren für die lange Fahrt von Bielefeld nach Westafrika zu prüfen.
Dort ist man auf Fahrzeuge gerade diesen Typs aufgrund des nahen Bundeswehr Standortes Augustdorf spezialisiert.
Nach einer Woche kam der ernüchternde Anruf des Werkstattleiters Herrn Hege.
Er zählte mir eine schier endlos lange Mängelliste auf, die von in die Jahre gekommenen Gelenkwellen hin bis zur nur noch kurzfristig intakten Auspuffanlage reichte.
Um das Fahrzeug nachhaltig für Afrika fit zu machen, waren Ersatzteile und Arbeiten im Wert von über 7000.- notwendig. Damit schien zunächst das Projekt für uns als Schule gestorben zu sein. Wie sollten wir so viel Geld zusammenbekommen?
Ein Gespräch mit dem Chef des Mercedes-Benz - OWL-Centers in Bielefeld, Herrn Peter Süßmilch, brachte dann den Wendepunkt.
Am Ende wurde daraus ein Projekt für Mercedes-Benz- Auszubildende und das Unternehmen übernahm sämtliche Ersatzteil-, Wartungs- und Arbeitskosten.
Der BDW war jetzt nicht nur optisch, sondern vor allem auch technisch und mechanisch wie neu und für einen langjährigen, problemlosen Einsatz als Ambulanz- und Rettungsfahrzeug für Dr. Babagbeto vorbereitet.
Wir waren sprachlos, unendlich dankbar und glücklich.
Und plötzlich ging es dann weiter:
Immer mehr waren von unserem Projekt begeistert, so dass nach und nach – vor allem mit Hilfe vieler Feuerwehrleute, die sich in bewundernswerter Weise in ihrer wenigen Freizeit engagierten – weitere Sponsoren für die medizinische Ausstattung gefunden wurden:
Rettungsrucksäcke, Vakuummatratze für besonders Schwerverletzte und eine Menge weiteres medizinisches Material für den Einsatz in Afrika wurden fachmännisch im BDW verlastet.
Ein Radio und ein GPS-System („MYOSCAR") vom ehemaligen Ratsschüler Michael Hüttemann, mit dessen Hilfe der jeweilige Standort und Fahrtroute des BDW verfolgt werden konnte, wurde eingebaut.
Inzwischen stand nämlich nach vielen langen Gesprächen mit Dirk Hengelsberg und Marco Wahle fest, dass diese beiden Afrika- erfahrenen Feuerwehrmänner den BDW eigenhändig nach Benin fahren würden, um von dort die Rückreise nach Bielefeld mit ihren Motorrädern anzutreten.
Die Schüler Jan-Philipp Schwirtz, Jean-Marc Haurand Lennard Nowitzki stellten daraufhin eine eigene Projekt-Benin-Homepage ins Netz www.projekt-benin.de und zugleich auch eine Link-Verbindung zum schuleigenen Internetauftritt her, so dass sich die ganze Schülerschaft jederzeit über den Stand des Hilfsprojektes informieren konnte.
Der Weihnachtsbasar 2009 schlug dann mit seinem Erlös für unser Hilfsprojekt alle Rekorde, so dass wir sogar die Kosten für die Mittelmeerfähre und auch für das Dieselbenzin beisammen hatten.
Der BDW war für alle sichtbar auf dem Schulhof geparkt und konnte aus der Nähe von den Schülerinnen und Schülern, Eltern und Besuchern betrachtet werden.
Neben den Mercedes-Benz-Aufklebern zierten nun auch stolz beide Fahrzeugseiten in großen Buchstaben die Aufschrift: „Sponsored by Ratsgymnasium Bielefeld".
Die Ratsschüler hatten zusätzlich auch wieder 580 Weihnachtspäckchen für ihre Partner an der Bethleem-Ecole gepackt und über 70 Schulranzen abgegeben.
Das alles wurde mit einem großen Seecontainer zusammen mit vielen anderen medizinischen Hilfsgütern und den Ausrüstungsgegenständen aus dem Innenraum des BDW im Voraus nach Benin geschickt.
Am 16. Januar 2010 war es dann endlich so weit.
Ein letztes Abschiedsfoto mit allen Schülerinnen und Schüler vor dem Rats – und mittendrin der BDW mit Marco und Dirk auf dem Fahrzeugdach.
Im Innern des BDWs waren die beiden Motorräder verstaut, mit denen Marco und Dirk von Benin aus die Rückreise nach Bielefeld antreten wollten.
Die große Fahrt begann dann am nächsten Morgen nach einem schönen gemeinsamen Frühstück von Bielefeld-Schildesche aus.
Das gesamte Gepäck war in den vier Motorradtaschen verpackt und für mehr als drei Monate musste das reichen.
Marco und Dirk hatten zwei Jahresurlaube aufgespart, und eigentlich hatten sie mit Brasilien geliebäugelt, doch manchmal kommt es im Leben eben anders, als geplant...
In der Schule wurde eine große Afrikakarte mit der genauen Fahrtroute und Position, die ein kleines, rotes Feuerwehrauto aus Pappe wiedergab, für die nächsten Wochen dann zum zentralen, stets umlagerten Info-Punkt für die alle Schülerinnen und Schüler und Lehrer.
Das im BDW eingebaute GPS-System gab zuverlässig mehrmals täglich die genauen Daten durch, so dass die einzelne Etappen aktuell angezeigt werden konnten.
Auf unserer Webseite www.Projekt-Benin.de reihte sich von nun an Blogeintrag an Blogeintrag, die zudem auch noch so interessant, spannend und zugleich lustig von Marco und Dirk geschrieben wurden, dass es all die Wochen für viele Schülerinnen und Schüler, Verwandte, Freunde und Kollegen mehrmals täglich einfach automatisch dazugehörte, diese Seite aufzurufen und dann auch selbst einmal im Gästebuch einen spassigen oder auch mutmachenden Kommentar beizusteuern.
Spätestens seit dem Weihnachtsbasar nahm die Idee, ganz persönlich bei der Übergabe des Fahrzeugs Ende Februar in Westafrika sein zu können, immer mehr Gestalt an.
Meine Impfungen waren noch allesamt frisch und brauchbar, und so beantragte ich einfach vorsorglich Anfang des Jahres ein erneutes Visum für Benin.
Als dann Marco und Dirk nach vielen tausend Kilometern Mitte Februar in Togo, dem Nachbarland von Benin, heil angekommen waren und es somit absehbar war, wann genau sie ihr Fahrtziel erreichen würden, war es mir zu einer tiefen Herzensangelegenheit geworden, die Fahrzeugschlüssel unseres BDWs an Dr. Babagbeto übergeben zu können.
Mit den beweglichen Ferientagen nach Rosenmontag, einem Wochenende und zwei freien Tagen reichte es dann fast für eine Woche schulfrei mitten im Februar.
Nach der Erlaubnis der Schulleitung und einer Mail von Noel Dassou, dem Schulleiter in Benin, der darin mitteilte, dass die Weihnachtspäckchen der Ratsschüler am 17. Februar an die Schülerinnen und Schüler der Bethléem-Ecole im Rahmen eines großen Schulfestes verteilt würden, buchte ich kurzfristig einen Flug. In der Bethléem-Ecole verbreitete sich die Nachricht von meiner Ankunft dann wie ein Lauffeuer und für mehr als eine halbe Stunde war – so erzählte es Noel Dassou – kaum mehr normaler Unterricht möglich, so groß war die Vorfreude über meinen Schulbesuch.
Am 11. Februar ging es in der Frühe und in tiefstem Winter von Bielefeld aus über Hannover los.
Kaum vorstellbar war es an dem Morgen für mich, dass ich noch am Abend bei hochsommerlichen Temperaturen in Afrika sein würde, mussten doch auf dem Rollfeld des Hannover Airports alle Maschinen zunächst enteist werden.
Mit fast drei Stunden Verspätung landete ich um 23.20 Uhr in Cotonou.
Das Empfangskommitee bestand aus Dr. Babagbeto und seiner Ehefrau, Hugues (Mitarbeiter des DED) – und Marco und Dirk mitsamt „unserem" BDW.
Wie bei meiner ersten Reise hatte ich wieder ein Zimmer im Gästehaus des DED (=Deutscher Entwicklungsdienst) und auch Marco und Dirk waren dort untergebracht.
Beide freuten sich, als ich schon am ersten Abend von „Konzept" und „Planung" sprach, damit die knappe Zeit gut eingeteilt werden konnte.
Denn viel war bis zur offiziellen Fahrzeugübergabe, die für den 16. Februar vorgesehen war, zu erledigen. Schließlich musste der Krankenwagen wieder hergerichtet und ausgerüstet werden, nachdem die Motorräder ausgeladen waren.
Rotkreuzaufkleber mussten angebracht werden und diverse komplizierte Formalitäten (Zoll, Behörden, Versicherung usw.) mussten erledigt werden.
Wir waren also gut ausgelastet, zumal bei 38 – 42 Grad Lufttemperatur nicht allzu viel am Stück zu schaffen war.
Am Sonntag gönnten wir uns dann auch einen verdienten Ruhetag.
Wir besuchten den großen Dan-Tokpa-Markt und bestaunten die abenteuerlich-bunten Stände mit Voodoofetischen und kauften Stoff für den Weihnachtsbasar und andere Veranstaltungen am Rats.
Die Anmeldeformalitäten gestalteten sich dann als sehr schwierig und waren mit einem außerplanmäßigen Abstecher zum letzten Grenzübertritt verbunden.
Doch schließlich war alles geschafft !
Am Abend vor der offiziellen Fahrzeugübergabe überraschte uns Dr. Babagbeto und überreichte jedem von uns ein afrikanisches Festgewand, so dass damit auch die Kleiderordnungsfrage geklärt war.
Von ihm erfuhren wir dann auch, dass sich sowohl ein Vertreter des Gesundheitsministeriums als auch das Fernsehen zur Übergabe des BDW angesagt hatten.
Pünktlich um acht Uhr brachen wir dann am nächsten Morgen auf.
Die letzte gemeinsame Fahrt! Denn jetzt hieß es, den uns allen schon längst ans Herz gewachsenen BDW seinem Bestimmungszweck zu übergeben.
Ein großes Fest war vorbereitet und wir setzten uns auf extra für uns vorbereitete Ehrenplätze.
Viele Patienten und Menschen aus der Nachbarschaft der umliegenden Orte waren gekommen, um bei der Zeremonie anwesend zu sein.
Es war überwältigend !
Es wurde gesungen und getanzt.
Zuerst hielt Dr. Babagbeto selbst eine bewegende, herzliche Ansprache, in der er noch einmal ausführlich die Entstehungsgeschichte des Krankenwagen-Projekts zusammenfassend darstellte.
Daran anschließend meldeten sich der Vorsitzende des Verbundes der Krankenstationen des Landeskreises und ein leitender Sprecher des Gesundheitsministeriums zu Wort.
Dann war es soweit.
Der BDW wurde mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn vorgefahren und ich hielt vor laufenden Fernsehkameras meine kleine Rede in französischer Sprache.
Nach der Schlüsselübergabe an Dr. Babagbeto überreichte ich ihm noch einen großen Abzug des Fotos, das wir mit allen Schülerinnen und Schüler unmittelbar vor der Abfahrt am 16. Januar am Rats aufgenommen hatten.
Danach ging es zum Festessen zu den Babagbetos.
Ein großer Tag – „Worte fehlen uns heute, um unsere Gefühle auszudrücken", so Dr. Babagbeto in seiner Dankesrede.
Am Abend gab es noch einige Restformalitäten mit dem Zoll zu erledigen.
Der letzte Tag meiner Reise war gekommen – mit einem weiteren Höhepunkt: Schulfest in der Bethléem-Ecole !
Als wir um neun Uhr eintrafen, wurden wir von den Schülerinnen und Schülern schon erwartet.
Es war eine riesige Freude und bekannte Gesichter strahlten mich an.
Auf dem Schulhof war eine Bühne mit Überdachung aufgebaut und das Schulfest begann. Jede Klasse hatte eine kleine Vorführung, z. Bs. ein Lied, ein Sketch, ein Gedicht oder einen Tanz vorbereitet.
Zweieinhalb Stunden dichtes Programm an dessen Ende die Übergabe der Weihnachtspäckchen erfolgte.
Es war sehr bewegend, die bunten Kartons in den Händen der Bethléem-Schüler zu sehen, hatte ich sie doch wenige Wochen zuvor erst mit dem SV-Posten Benin im Rats gesammelt und verpackt.
Spätabends ging es dann für mich wieder zurück zum Flughafen von Cotonou, um die Heimreise nach Deutschland anzutreten.
Im Gepäck konnte ich die Kfz.-Kennzeichen mitnehmen.
Marco und Dirk blieben zurück. Sie hatten jetzt noch eine weite, abenteuerliche Rückfahrt mit ihren Motorrädern vor sich.
Ihre „BDW-Mission" war beendet.
Dr. Babagbeto berichtet uns seitdem von den erfolgreichen Einsätzen des Wagens.
So hat er erst neulich einem Neugeborenen das Leben mit Hilfe des BDW retten können, indem der kleine Patient rechtzeitig das weit entfernte große Krankenhaus erreichen konnte.
Es hat sich also gelohnt !
Allen, die mitgeholfen haben, dass unser Hilfsprojekt „Ein Krankenwagen für Benin" Wirklichkeit werden konnte, sei an dieser Stelle nochmals von ganzem Herzen gedankt !
Kirsten Rottmann, OStR´